Paul Watzlawick

Aus Paul Watzlawick:
"Wie wirklich ist die Wirklichkeit - Wahn  *  Täuschung  *  Verstehen"
Piper Verlag GmbH, München


... lassen sich dabei drei Variationen des Grundthemas unterscheiden:

 

1. Wer für seine Wirklichkeitswahrnehmungen oder für die Art und Weise, wie er sich selbst sieht, von für ihn lebenswichtigen anderen Menschen getadelt wird (zum Beispiel ein Kind von seinen Eltern), wird schließlich dazu neigen, seinen Sinnen zu misstrauen. Die damit verbundene Unsicherheit wird die anderen zur Aufforderung veranlassen, sich doch mehr anzustrengen und die Dinge >> richtig<< zu sehen. Früher oder später wird damit auch unterstellt, dass er verrückt sein muss, wenn er solche merkwürdigen Ansichten hat. Da ihm auf diese Weise immer wieder nahe gelegt wird, er habe unrecht, wird es ihm noch schwerer fallen, sich in der Welt und besonders in zwischenmenschlichen Situationen zurechtzufinden, und er wird in seiner Konfusion dazu neigen, auf immer abwegigere und verschrobenere Weise nach jenen Sinnzusammenhängen und jener Ordnung der Wirklichkeit zu suchen, die den anderen anscheinend so klar sind, ihm aber nicht. Unter Außerachtlassung der eben beschriebenen Interaktion mit den Personen seiner Umwelt wird so in künstlicher Isolierung gesehenes Verhalten dem klinischen Bild der Schizophrenie entsprechen.

 

2. Wer von anderen, die für ihn lebenswichtig sind, dafür verantwortlich gemacht wird, anders zu fühlen, als er fühlen sollte, wird sich schließlich dafür schuldig fühlen, nicht die >>richtigen<< Gefühle in sich erwecken zu können. Dieses Schuldgefühl kann dann selbst der Liste jener hinzugefügt werden, die er nicht haben sollte. Am häufigsten ergibt sich dieses Dilemma dann, wenn Eltern sich so fest der landläufigen Annahme verschrieben haben, ein richtig erzogenes Kind müsse ein fröhliches Kind sein, dass sie selbst in der unbedeutendsten Verstimmung ihres Kindes eine stumme Anklage elterlichen Versagens sehen. Meist verteidigen sie sich darauf mit einer Gegenklage, die das Recht des Kindes auf sogenannte negative Gefühle bestreitet, etwa: >> Nach allem, was wir für dich getan haben, solltest du froh und zufrieden sein.<< Auf diese Weise kann auch die kleinste vorübergehende Traurigkeit oder Verzagtheit des Kindes zu Undankbarkeit und Böswilligkeit abgestempelt werden und in ihm endlose Gewissensqualen erzeugen. In künstlicher Isolation, das heißt wiederum ohne Berücksichtigung des zwischenmenschlichen Kontextes, entspricht das sich daraus ergebende Verhalten des Kindes dem klinischen Bild der Depression.

 

3. Wer von Personen, die für ihn lebenswichtig sind, Verhaltensanweisungen erhält, die bestimmte Handlungen sowohl erfordern als auch verbieten, wird dadurch in eine paradoxe Situation versetzt, in der er nur durch Ungehorsam gehorchen kann. Die Grundformel dieser Paradoxie ist: >>Tu, was ich sage, und nicht, was ich möchte<<. Sie liegt zum Beispiel dort vor, wo Eltern von ihrem Jungen erwarten, dass er sowohl Respekt für Gesetz und Ordnung habe als auch ein rechter Draufgänger sei. Andere Eltern legen so großen Wert auf Gewinnen, dass für sie einerseits jedes Mittel diesen Zweck zu heiligen scheint, sie aber andererseits bei ihrem Kind auf Fairneß und Ehrlichkeit in allen Lebenslagen pochen. In ähnlicher Weise mag eine Mutter ihrer Tochter bereits in sehr frühem Alter vor der Hässlichkeit und den Gefahren alles Sexuellen zu warnen beginnen, ihr gleichzeitig aber keinen Zweifel darüber lassen, dass man als Frau sich von Männern umschwärmen und beehren lassen soll. Das sich aus diesem Widerspruch ergebende Verhalten entspricht häufig der sozialen Definition der Haltlosigkeit.


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